In unserer heutigen Betrachtung der Barockmusik in Deutschland sind wir sehr geprägt von der romantischen Lesart dieser Zeit. So wurde beispielsweise Johann Sebastian Bach in dieser Zeit zur wichtigsten Figur hochstilisiert, was allerdings keinesfalls die Realität der Barockzeit widerspiegelt. Komponisten, die in dieser Zeit großartige Werke verfassten, sind dieser nachträglich aufgeprägten Betrachtung des Barocks zum Opfer gefallen und für das heutige Publikum oft böhmische Dörfer.
Unser Hauptprotagonist für das Konzertprogramm stammte nun aus einem tatsächlich böhmischen Dorf: Jan Dismas Zelenka. In dieser Messe breitet Zelenka vor uns beinahe den gesamten spätbarocken Formenkatalog aus: Fugen, konzertierende Sätze, opernhafte Arien der damals modernsten Mode und homophone Chorblöcke bilden einen überaus abwechslungsreichen Boden, auf dem Zelenka seine Kunstfertigkeit zu vollster Blüte bringen konnte.
Die Musik strotzt nur so vor Spielfreude, artet in teils fast verrückte Virtuosität aus und mutet unseren heutigen Ohren an so mancher Stelle gar nicht mehr wie Barockmusik an, sondern erinnert schon mehr an Haydn oder gar Mozart. Hören Sie doch gerne mal rein, in diese Musik, wir dürfen Sie hier mit einer Aufführung von Václav Luks verlinken.
Wenn auch die Musik sehr verspielt und ideenreich daherkommt, ist doch die Orchestrierung zunächst einmal verwunderlich: Im Gegensatz zu Bach und vielen seiner Zeitgenossen, die für Kompositionen dieser Größe gern den gesamten Orchesterapparat der Zeit in Anspruch nahmen, ist die Missa Votiva lediglich mit zwei Oboen und Streichern besetzt.
Auch der Chor wird in dieser Messe durchaus gefordert. Bewegliche Passagen in rasenden Tempi wechseln sich mit harmonisch anspruchsvollen Adagietti ab und man muss an einigen Stellen schon aufpassen, nicht beim Singen die eigene Zunge zu verknoten!
Alles in Allem präsentieren wir hier ein Werk, was rein musikwissenschaftlich genauso wie von seiner ästhetischen Wirkung her eigentlich ganz selbstverständlich neben Bachs h-Moll Messe, Mozarts c-Moll Messe und Beethovens Missa Solemnis zu den großen Messvertonungen gezählt werden muss. Nimmt man sich diese vier großartigen Werke, beginnt mit Bach, dann Zelenka, Mozart und schließlich Beethoven, erschließt sich ein neuer, viel homogenerer Übergang zwischen Barock, der Wiener Klassik und schließlich der frühen Romantik, der die Musikgeschichte mehr als das Kontinuum erscheinen lässt, was sie nun einmal ist.
Der Bremer RathsChor hat es nun umgekehrt gemacht: beginnend mit Beethovens Missa Solemnis an Silvester 2023 folgte Mozarts c-Moll-Messe an Silvester 2024. In 2025 bieten wir Ihnen die Missa Votiva von Zelenka und vielleicht im nächsten Jahr die h-Moll-Messe von Bach?